Wenn der vorherbestimmte Weg endet
Hallo Welt,
das Leben eines typischen deutschen Mädchens – falls es diese überhaupt gibt – ist bis Ende zwanzig ziemlich vorherbestimmt. So zumindest bei mir.
Ich ging in den Kindergarten, bekam eine Brille, kam in die Grundschule, brach mir beide Beine, verbrachte 6 Wochen im Rollstuhl, schloss die vierte Klasse ab, kam aufs Gymnasium, wurde Teil verschiedener Mädchencliquen, schwänzte die Schule und wiedersetze mich den Lehrern, sang in einer Kirchenband und spielte Gitarre, ging auf die ersten Partys und machte Abitur: welches einen in Richtung Studium drängt. Nicht mir selbst ist zu verdanken, dass ich es trotz „schlechtem“ Abi ins Psychologiestudium schaffte. Ich zog von Zuhause in meine erste WG, wurde selbstständiger, suchte mir einen Nebenjob und wechselte diesen schnell wieder. Nach dem Bachelor in Psychologie stand ganz klar der Master an, doch zwischendurch sollte noch ein halbes Jahr im Ausland drin sein. Auch das wird einem nahezu vorgekaut.
… und die Zukunft plötzlich nicht mehr sagt, wo es hingehen soll
Doch bald soll das Masterstudium beendet sein. Ich soll erste Entscheidungen treffen, die mir nicht Stück für Stück vor die Füße gelegt werden. Dabei bespreche ich selbst den Kauf eines neuen Laptops tagelang mit meinem Vater, und für die Zusage bei einem Praktikum lässt mich die Zustimmung meiner Mutter wissen, dass es eine vernünftige Entscheidung war.
Ich habe das Gefühl, ich weiß gar nicht, wie ich Entscheidungen alleine treffen soll. Vor allem die wichtigen, die lebensentscheidenden.
Eins wusste ich schon immer:
Auch wenn ich vieles in meinem Leben nicht weiß, und noch nicht entscheiden kann, eines konnte ich schon entscheiden: ich werde heiraten! Ich wusste schon immer, dass ich heiraten möchte, da war es nach sieben Jahren Beziehung kein überraschender Gedanke für mich.
Aber alles Andere habe ich mir nicht schon mit 9 Jahren, während ich mit geflochtenen Zöpfen auf der grünen Gartenschaukel saß, erträumt.
Was ich alles nicht weiß:
In der elften Klasse wusste ich immer noch nicht, was ich studieren möchte. Als ich in der zwölften auf die Idee kam, Psychologie zu studieren, hatten es mir meine Noten eigentlich schon versaut. Hätte ich das Ziel früher gehabt, hätte lernen für mich wahrscheinlich mehr Sinn gemacht. So jedoch war der gute Mittelbereich für mich gut genug. Wie toll, dass Gott über den Dingen steht!
Jetzt wo sich dieser vorgefertigte Weg langsam einem Ende zuneigt, stehe ich vor Lebensentscheidungen, die gleichzeitig auch Alltagsentscheidungen sind: Welche Bereiche, mit denen ich meine Zeit verbringe, möchte ich ausbauen und welche streichen?
Man munkelt, wenn man einmal Vollzeit arbeitet, arbeitet man 8-10 Stunden am Tag. Wie soll ich da noch meine ganzen Leidenschaften unterbringen?! Fangen wir mit schreiben und bloggen an, gehen weiter zum musizieren, übers fotografieren, eventuell zum nähen, weiter zum reisen, Fahrrad fahren, Schaukeln und natürlich zum Feierabendbier mit Freunden. Dabei habe ich den Sport noch ganz vergessen, wie so oft.
Wie bitte soll das alles in einem normalen Leben Platz finden? Und was ist eigentlich dieses „normale Leben“? Will ich das?
Wenn ich die weite Welt rufen höre
Als Bloggerin lese ich viele andere Blogs. Das inspiriert … und frustriert. Ich lese von Reisebloggern, die die coolsten Dinge auf der ganzen Welt erleben, genau in der Zeit in der ich tagein, tagaus am Schreibtisch sitze und mich auf Klausuren vorbereite. Okay, Klausurenphase und Studium sind absehbar. In einem guten Jahr werde ich wahrscheinlich fertig sein.
Doch was kommt dann? Woher soll ich das wissen? Und wer, wenn nicht ich?
Ich sollte lernen, doch lese von Weltreisenden. Was das in mir auslöst: Panik. Angst etwas zu verpassen. Was ist, wenn ich mich für das „normale Leben“ entscheide und nicht die ganze Welt sehe? Was ist, wenn ich viel Reise und plötzlich nirgendwo so richtig ankomme?
Wir haben so unglaublich viele Freiheiten, dass wir manchmal gar nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Die Freiheit sich für alles entscheiden zu können, impliziert aber auch, sich gegen Dinge entscheiden zu müssen. Das wollen wir aber nicht, denn wir wollen uns alles offen halten.
Ich bin froh, dass ich mich entscheiden konnte zu heiraten und, dass jemand sich auch für mich entschieden hat. So habe ich eine sichere Komponente im Leben, auf die ich mich verlassen kann. Diese Entscheidung fiel mir leicht, und ich habe keine Angst etwas zu verpassen. In andern Bereichen des Lebens weiß ich jedoch nicht so genau was ich will.
Was antworte ich auf den Ruf der weiten Welt?
Will ich wieder mehr Musik machen? Oder wirklich ein Buch schreiben? Möchte ich meinen Blog ausbauen? Auf meiner Bucket-Liste stehe noch so viele unbearbeitete Dinge. Ach ja, irgendwie muss ich Geld verdienen. Möchte ich als Therapeutin arbeiten, mit Kindern oder Erwachsenen? Oder lieber als Coach oder Berater? Möchte ich in ein anders Land?
Was will eigentlich mein zukünftiger Mann? Er ist da zum Glück etwas gelassener.
Was ist das Ziel unserer Freiheit?
Eins der höchsten Ziele meiner Generation die Selbstverwirklichung. Wir wollen das Bestmögliche aus uns rausholen, das Höchste erreichen und am glücklichsten sein. Doch wie messe ich das? Wann bin ich angekommen? Wann bin ich das Beste meiner Selbst? Und vor allem, wann bin ich am glücklichsten?
Zu den Eigenschaften glücklicher Menschen schreibe ich in einem weiteren Beitrag.
Wir wollen uns selbst verwirklichen und machen uns dabei einen gewaltigen Druck. Wir wollen das Bestmögliche erreichen, haben Angst etwas zu verpassen und sind so gelähmt, dass wir einfach nichts tun.
Ich lese Blogbeiträge von Weltreisenden, die einiges hinter sich gelassen haben, sehe immer wieder wunderbare Bilder meiner Schwester, die genau eine dieser mutigen Menschen ist, doch mit etwas Abstand erinnere ich mich daran, dass ich nichts zurücklassen möchte.
Ich liebe mein Leben und ich liebe die Menschen darin. Auch wenn gerade alles ziemlich viel ist und Klausurenphase, Praktikum, Hochzeitsvorbereitung, Masterarbeitsplanung, Nebenjob, Privatleben, Hobbys und Freunde sich eigentlich gar nicht unter einen Hut bringen lassen, weiß ich genau, wieso mir jeder einzelne dieser Punkte wichtig ist – abgesehen von der Klausurenphase, die lässt sich einfach nicht umgehen.
Ich bin glücklich, so wie es gerade ist. Zumindest, weil ich freudig darauf hinarbeiten darf, dass die Lernphase in 8 Tagen vorbei ist. Juppi juppi yea!!
Meine Antwort auf den Ruf der weiten Welt:
Ich bin zufrieden und antworte meinen Panikanfällen der Lebensentscheidungen:
Wenn ich über jeden Schritt, den ich im Leben gehe,
mit meinem Gott und meinem Herzen Rücksprache halte,
dann werde ich durch jede Entscheidung, die ich treffe,
weiter auf das zugehen,
wofür Gott mich gedacht und was mich Zufrieden macht.
Wahrscheinlich werde ich dabei nicht reich werden und kein Ansehen und Ruhm ernten; das wollte ich aber nie.
Diese Perspektive von einem Schritt zum nächsten, nahe am Herzen Gottes, ist es, was mich wirklich ruhig macht.
Gottes Antwort auf mein Rufen:
„Mein Plan mit dir steht fest; ich will dein Glück und nicht dein Unglück. Ich habe im Sinn dir eine Zukunft zu schenken, wie Du sie erhoffst, das sage ich, der Herr.“ Jeremia 29,11
Einer der Worte Gottes, die ich wie aus dem Effeff auswendig kenne. Wieso? Weil er mir so viel Ruhe und Sicherheit gibt. Wovor soll ich eigentlich Angst haben, mit so einem Gott an meiner Seite? Was kann ich verpassen, wenn der Meister des Universums mein Glück im Sinn hat und mir eine Zukunft schenken will, wie ich sie erhoffe?
Und dann weiß ich wieder, was ich eigentlich will, und merke, dass einem oft von verschiedensten Seiten Bedürfnisse eingetrichtert werden, die man eigentlich gar nicht hat.
Und plötzlich habe ich mich wiedergefunden
Ich möchte nicht primär durch die Welt reisen und Abenteuer erleben. Ja, das würde ich auch mitnehmen, wenn`s drin ist. 😉
Doch mein wahrer Wunsch ist es: nah an Gottes Herzen zu sein und ihm Ehre zu geben, indem ich seine Liebe weitergebe.
Darin empfinde ich Freiheit, die mir keine Panik bereitet. Ich kann Schritte gehen, die mich nicht unter Druck setzen; Entscheidungen treffen, ohne Angst zu haben, etwas zu verpassen. Ich glaube, in Gottes Liebe kann ich das Bestmöglichste meiner Selbst sein, indem ich das bin, wofür Gott mich geschaffen hat: sein geliebtes Kind.
So finde ich die Gelassenheit Schritte zu gehen, weil ich weiß, dass Gott mit geht und mich leitet. Und endlich kann ich wieder Entscheidungen treffen, die vielleicht richtungsweisend für mein Leben sein können. Doch im Endeffekt steht Gott über den Umständen, das habe ich schon erleben dürfen, als ich trotz „schlechtem“ Abi Psychologie studieren konnte.
Ich gehe nächste Schritte und es gibt einen weiteren Punkt, der zur all dem, was sowieso schon ansteht, hinzu kommt. Doch plötzlich habe ich das Gefühl, es ist machbar und ich weiß: „Ich bin allem gewachsen, durch Gott, der mir die Kraft dazu gibt.“ Philipper 4,13
Wir brauchen nur Vertrauen, um endlich Entscheidungen zu treffen.
Wir müssen losgehen und zu merken, dass wir weiter kommen und auf dem Weg sind, der uns glücklich macht. Und wenn Du das nicht bist, dann schau dich nach einer Weggabelung um. Siehe dir an, was Du verändern kannst, wo Du Entscheidungen treffen kannst. Manchmal ist es auch einfach nur deine Einstellung und dein Blickwinkel, der geändert werden sollte.
Ich wünsche dir die Gelassenheit, in dem Wirrwarr der Möglichkeiten, Entscheidungen treffen zu können.
Von Herzen alles Gute,
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Wunderbar und inspirierend geschrieben! Danke 🙂
Danke, für deine netten Worte Anika. 🙂
Alles Gute dir, bei all deinen Lebensüberlegungen,
deine Jule
Liebe Julia, danke für dieses Posting, das mir aus dem Herzen spricht. Ich bin oft total ungeduldig und es fällt mir schwer, eine Phase auszuhalten, in der scheinbar nichts passiert. Ich träume oft von der Zukunft und vergesse darüber die Schönheit und die Geschenke im Hier & Jetzt. Was ich wirklich will, darüber bin ich mir auch unschlüssig, aber eins weiß ich: Gott weiß es. Und das ist so gut 🙂
Liebe Annika, danke für deinen tollen, ermutigenden Kommentar.
Ja, den Moment sollten wir niemals vergessen, denn da spielt sich das Leben ab.
Wie schön und beruhigend, dass Gott das alles in seiner Hand hält.
Alles liebe, Gott befohlen,
Julia