Ich male euch ein Bild
Heute habe ich keine Fotografie für euch.
Stattdessen versuche ich euch ein Bild zu malen.
Nicht mit Wasserfarben, sondern mit Worten.
Ich hoffe es gelingt mir, euch zu diesem Ort mitzunehmen.
Es ist Samstag, der 13. Juni.
Wie jeden Samstag fahren wir um ca. 13 Uhr Richtung Agora, einem Stadtteil von Cagayan de Oro.
Wir halten auf dem Weg in Landfill, dem Slum an der Müllkippe, an. Island Kids Philippines arbeitet hier mit den Familien und versucht ihnen eine Perspektive zu geben. Diese Familien kochen jeden Samstag eine riesen Portion für die Kinder in Agora.
Zunächst musste die Fahrt überstanden werden
Es werden zwei große Kochtöpfe mit sehr heißer Flüssigkeit in den Van und mehrere kleine Bänke auf das Dach geladen. Diese Bänke werden nicht befestigt. Zumindest nicht mit Seilen. Zwei unserer Jungs sollten sich aufs Dach setzen und sie die Fahrt über festhalten.
Währenddessen sitzen wir unten im Van direkt an den heißen Töpfen.
Bei dem Fahrstil unseres Fahrers habe ich nicht nur Angst um meine nackten Füße, sondern auch um die Jungs auf dem Dach.
Als wir Landfill gerade verlassen wollten, taucht hinter uns eine Gang von ungefähr 10 Jungs im Alter von 16 Jahren auf. Sie sind mit aus Plastikrohren gebastelten Waffen ausgerüstet und zielen mit irgendetwas auf den Van. Die Jungs auf dem Dach sind wehrlose Opfer und müssen einige Schüsse abbekommen.
Nach dieser kleinen Attacke machen wir uns voll beladen auf den Weg nach Agora. Hier befindet sich neben dem Busbahnhof sehr viel Armut, Straßenkinder und ein inoffizieller Sammelplatz für Kinderprostituierte, die von irgendwo her angeschleppt werden. Die Straßen sind voll mit Motorrädern, Autos und LKWs; die Straßenrändern mit Verkaufsständen, jungen Müttern mit Säuglingen auf dem Arm und Kindern, die den ganzen Straßenstaub abbekommen.
Langsam bewegen wir uns mit unserem Van bis zu einem kleinen Platz vor, auf dem wir seit drei Wochen das Outreach durchführen. Unser vorheriger Platz war nicht mehr verfügbar und bis wir einen neue gefunden hatten mussten wir 6 Wochen lang immer wieder aufs Neue auf die Suche gehen. Doch mit diesem neuen Platz sind wir mehr als zufrieden. Es kommen immer noch die gleichen Kinder von davor und zudem noch neue dazu.
Als wir endlich angekommen sind fuhr mir ein „Danke Jesus“ über die Lippen.
Outreach: den Straßenkindern begegnen
Die Kinder kommen uns fröhlich entgegengelaufen und wollen uns beim Einparken helfen, wobei sie eher im Weg stehen. Sie schauen uns mit freudig, erwartungsvollen Augen an. Natürlich erinnern sie sich an meinen Namen und Begrüßen mich fröhlich mit „Hello Ate Julia“. Ich allerdings bin stolz auf mich, wenn ich mich an zwei-drei Namen erinnern kann und entgegne deswegen meistens nur „Hello, kumusta ka?“ (Hallo, wie gehts?). Sie mit Namen anzusprechen wäre mir natürlich viel lieber. Doch die Namen hier hören sich oft so gleich an, enden alle auf Mae oder Lyn und manchmal verstehe ich sie einfach nicht, weil sie so anders als die europäischen Namen sind.
Wir singen einige Lieder, danach erzähle ich den kleineren Kindern die Geschichte vom kleinen Mose der Bibel. Hierbei übersetzt mir ein älteres Mädchen aus dem Shelter die einzelnen Sätze auf Bisaya. Anschließend lasse ich die Kinder ein Bild der Geschichte malen. Die meisten malen Mose im Körbchen auf dem Wasser treibend.
Der Regen kommt…
Als wir gerade gebetet und die Kinder in einer Reihe vor dem Essenstopf aufgestellt haben, fing es an zu regnen. Wir zogen schnell unter ein kleines Dach und konnten die Kinder nicht mehr wirklich in eine strukturierte Linie bringen. Essen gab es allerdings trotzdem, auch wenn etwas chaotisch. Die Mütter aus Landfill meinen es steht`s gut und machen eine ausreichende Menge an Essen.
… und mit ihm der Spaß!
Die gesättigten Kinder fingen an im Regen zu spielen, sich die Tshirts auszuziehen und ausgelassen zu tollen. Wir standen unter einem Dach um nicht nass zu werden. Diese Trennung zwischen Spaß und Langeweile hat mir gar nicht gefallen und ich bin kurzerhand aus dem Trockenen ins Nass gehuscht.
Kaum habe ich einen Schritt in den Regen gewagt, kommen die Kinder auf mich zugerannt.
Ich muss dann manchmal an eine Hundeherde denken, die auf mich zugestürmt kommt und ich nicht weißt, ob ich mich freuen oder Angst haben sollte, gleich umgerannt zu werden.
Leider sind zwei Hände und zehn Finger nicht genug für die kleinen Knirpse zum festhalten. Wenn die Finger besetzt sind, greifen sie um deinen Arm. Die ganz kleinen nehmen auch einfach dein Bein. Und dann wollen sie mit dir spielen.
Ja, tut mir leid, ich kann mich gerade nicht bewegen und bin froh, dass ich nicht einfach umfalle.
Magligo na ta.
In meinem kleinen Bisayawortschatz befindet sich der Satz „Magligo na ta.“ Auf diesen Ausruf „lass uns duschen“ stürmen die Kindern, und ich zwangsläufig mit ihnen, zum Rande eines Daches, von dem das Regenwasser runter läuft. Sie lachen, strahlen, springen, quietschen und schreien vor Freude.
Der erste Junge stellt sich unter den Regenstrahl und ich tue so als würde ich seine Haare waschen. Er windet sich vor Spaß und genießt es sichtlich. Schnell bildet sich ein Kreis um mich herum und einer schubst den anderen weiter, sodass er an der Reihe ist. Es bildet sich ein Kinder-Wasch-Kreis. Ich darf jedem Kind ordentlich den Kopf waschen und dabei selber klitsch nass werden.
Die Kinder lachen, haben Spaß und genießen diesen Blödsinn einfach.
Während dessen steht ein kleines Mädchen mit mir im Kreis und hält meine andere Hand fest. Sie hat ein dunkelrotes Tshirt an, das ihre braunen Augen betont. Sie schaut mich bewundernd an während ich den anderen Kindern den Kopf wasche. Sobald ich zu ihr runter gucke, fängt sie laut an zu lachen und versteckt ihr Gesicht. Dann schaut sie mich langsam wieder an. Wenn ich immer noch zu ihr schaue, versteckt sie unter Quietschen ihr Gesicht wieder. So geht das die ganze Zeit. Wir spielen über unsere Blicke miteinander.
Währenddessen wasche ich den anderen Kindern ihre Köpfe. Auch hier höre ich Lachen und Quietschen und sehe Hüpfen, kaputte Zähne und strahlende Augen.
unbezahlbar, unvergesslich
Ich stehe in einer nassen Traube voller Kinderlachen. Mitten in diesem dreckigen, nassen, armen Fleckchen Erde bin ich gerade wohl einer der glücklichsten Menschen dieser Welt. Wie unbezahlbar ist dieses Rumtollen und dieses ausgelassene Lachen der Straßenkinder von Cagayan de Oro.
Ich frage mich, welche Kinder dieser Welt wirklich arm sind.
Als es Zeit wird zu gehen verspreche ich den Kindern „mobalik na ko sa sunod semana“ („ich komme nächste Woche wieder“). Strahlend bringen sie mich zum Van. Klitschnass triefend winke ich ihnen hinterher und lasse sie dort im Regen stehen.
„hangtud sa sunod nga semana„, „bis nächste Woche“ verspreche ich ihnen und bin mir nicht sicher, wer sich wohl mehr darauf freut.
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Kein Bild der Welt hätte das gezeigt, was du beschrieben hast!
Bleib so wie du bist, nicht nur die Kinder aus Cagayan de Oro lieben deine Art :*
Danke meine liebste!!
Deine Begeisterung hätte wohl kaum ein Bild so fassen können…
Ich vermisse dich und liebe dich.