Nein, die andere Seite der Erde ist nicht perfekt!
Seit etwas mehr als einen Monat befinde ich mich auf den Philippinen. Für 5 Monate darf ich die christliche Organisation IslandKids Philippines unterstützen.
Das tue ich so gut ich kann, allerdings nicht ohne Schwierigkeiten und Frust.
Doch wenn alles rund laufen würde, würde ich hier ja nicht gebraucht werden, oder? 😉
Es gibt so einiges, was mich ärgert und frustriert.
Wenn man eine Uhrzeit ausmacht, kann man im Durchschnitt eine Stunde drauf rechnen, bis es dann wirklich losgeht. Die meisten Dinge werden hier nicht geplant und strukturiert, sondern man entscheidet einfach spontan.
Ab und zu werde ich hier auch einfach vergessen. Die Kommunikation lässt nämlich auch zu wünschen übrig. Und wenn man dann denkt 13 Uhr heißt 14 Uhr und kommt erst um 13:20 Uhr vors Haus, sind die anderen einfach ohne einen gefahren ohne gerade Bescheid zu sagen. So etwas nervt. Ich warte ständig stundenlang und dann fährt man plötzlich pünktlich, wenn ich es nicht erwarte.
Haben die Fillipinos eine Geheimsprache wann 13 Uhr auch 13 Uhr heißt und wann damit 15 Uhr gemeint sein kann? 😀
Neben all diesen kommunikativen und strukturellen Problemen kann in einer Hilfsorganisation noch so einiges anderes schieflaufen.
Die besonderen Momente für mich
Doch die kleinen, einfachen Begegnungen mit den Kindern lassen mich immer wieder spüren, dass es das Ganze so sehr wert ist.
Auf dem Foto seht ihr mich mit einem 7-jährigen Jungen namens Wilan. Er lebt im Shelter und kommt seit einer Woche ständig zu mir, nimmt meine Hand, möchte, dass ich ihn umarme, drückt sein Gesicht in meinen Bauch und kuschelt mich. Er umarmt mich jeden Abend, bevor er schlafen geht.
Da merkt man, wie sehr die Kinder die körperliche Nähe und Zuneigung brauchen.
Eines Abends saß ich auf einer Bank vor dem Haus, er hat sich neben mich gesetzt und seinen Kopf auf meinen Schoß gelegt und ich habe ihm durch die Haare und über den Bauch gestreichelt.
Und so saßen wir einfach da, ich habe etwas vor mich hin gesungen und er hat gegrinst, mich zufrieden angeschaut und einfach meine Nähe genossen. Von solchen Momenten gibt es in den letzten Tagen einige.
Das sind diese kleinen Momente, in denen man das Gefühl hat, man kann die Welt verbessern. Vielleicht wenigstens die Welt dieses einen Jungen. Diesen 7 Jahre alten Wilan habe ich wirklich tief in mein Herz geschlossen. Und einige andere Kinder auch.
Besonders sind ebenfalls die vielen Aktionen, bei denen ich mithelfen kann. Jeden Samstag gehen wir raus in die Stadt und bringen den Straßenkindern eine warme Mahlzeit und die gute Nachricht, dass Jesus sie liebt. Dabei singen wir mit den Kindern jedes Mal „yes, Jesus loves me, the Bibel tells me so“.
Für mich ist die Zeit mit den Straßenkindern etwas ganz Besonderes. Wenn sie dich mit ihren großen, strahlenden Augen anschauen, mit ihren schmutzigen, dünnen Fingerchen deine Hand halten und deine Aufmerksamkeit aufsaugen wie die Luft zum atmen, dann löst das Emotionen aus, die ich einfach nicht beschreiben kann. Es ist so viel Freude da, obwohl ich gerade gar nichts ausrichte, soviel Hoffnung für die Kinder, obwohl ich ihnen nicht mehr als meine Zeit schenke.
Da kommt die Psychologin in mir zum Vorschein und ich stelle mir die Frage:
Was wäre, wenn ich wirklich etwas für sie tun könnte?
Was wäre, wenn ich auf ihrer eigenen Sprache mit ihnen reden könnte und mich ihnen wirklich zuwenden könnte?
Was wäre, wenn ich ihnen wirklich helfen könnte, wenn sie mir ihre Ängste, Sorgen und Erfahrungen erzählen könnten und ich ihnen ein Stück ihrer Last abnehmen könnte?
Was würde ich für die Menschen tun können, wenn ich mit ihnen beten, reden, ihnen zuhören und sie verstehen könnte?
Wie viel würden die Kinder abladen können von dem, was ihre Seele belastet, was würden junge Mütter teilen, die als Prostituierte oder durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind?
Könnte ich Müttern helfen, für ihr Kind da zu sein? Könnte ich Kindern helfen, den Verlust von Eltern zu verarbeiten?
Mein Herz brennt so für dieses „mehr„.
Es entstehen Visionen
Allein die Vorstellung, mit Kindern oder Menschen hier wirklich psychologisch zu arbeiten, macht mich total aufgeregt. Ich mache mir sehr viele Gedanken, was ich eigentlich mit meinem Leben und auch mit meinem Psychologiestudium machen möchte. Irgendwie könnte ich mir gut vorstellen, wieder her zu kommen. Nicht direkt zu IKP, aber auf die Philippinen.
Schon oft hatte ich das Gefühl, dass mich die Sehnsucht in meinem Herzen nach „mehr für den Herrn“ überrennt. Dann habe ich das Gefühl, dass Gott etwas mit mir vor hat und mein Herz das irgendwie spürt.
Ich weiß nicht was und wie und vor allem nicht, wie sich das umsetzen lässt.
Doch was ich weiß, ist, dass man durch kleine Schritte das große Ziel erreicht.
Und so möchte ich mit kleinen Schritten der Sehnsucht meines Herzens folgen.
Im Moment sagt mein Herz: „Herr, ich will mehr!“ Ich habe nur dieses eine Leben und ich möchte mehr als Arbeit, Haushalt, Kinder und Gemeindearbeit. Was nicht heißt, dass ich das abwerte! In jeder Lebenssituation braucht es ehrliche Christen. Auch im alltäglichen Deutschland! Doch irgendwie sehnt es mich schon seit langem nach etwas Anderem.
Ich möchte ehrlich sein: ich bin erst einen Monat hier und ich habe schon viel mitbekommen, was hier schief läuft. Es läuft nicht alles perfekt. Mein Auslandsaufenthalt ist nicht perfekt. Doch ich durfte schon so viel Liebe, Hilfsbereitschaft, Zufriedenheit im Helfen und Dienen, Dankbarkeit und Hoffnung sehen.
Thom hat einmal gesagt, dass er hier die größten Extremen der Gefühle erlebt hat: Tiefste Traurigkeit aber auch eine riesen Freude, die er in der Schweiz wahrscheinlich nie erlebt hätte. Ich glaube das trifft es ziemlich gut.
Voller Sehnsucht nach mehr genieße ich dann einfach die Zeit mit den Kindern.
Kinderzeit
Zwei Wochen lange haben wir einen Schwimmkurs durchgeführt. Wir haben den Kindern sowohl Brust- als auch Rettungsschwimmen beigebracht. Das hat – trotz der großen Unorganisiertheit – sehr gut geklappt. Es ist schön die Fortschritte der Kinder und ihr Lachen zu sehen. 🙂
new local Friends
Als ich mit den Kindern am Meer war, habe ich die berühmt berüchtigten „Locals“ kennen gelernt, die es überall gibt. 😉 Ich habe eine Gruppe sehr netter philippinischer Studenten kennengelernt, die regelmäßig Ausflüge macht. Sie haben Sherry, unsere Volontärin für einen Monat, und mich direkt zum Hiken eingeladen.
Wir sind mit ihnen zu einem wunderschönen kleinen Wasserfall gewandert, hatten sehr viel Spaß und haben schon die nächsten Aktionen geplant.
So habe ich eine Gruppe gefunden, mit denen ich die Gegend erkunden und etwas reisen kann. Alleine reisen möchte ich hier nämlich nicht so gerne.
Wie geht es weiter?
Nun ist die Summerschool zu Ende und bis Mitte Juni haben die Kinder frei. Ihr könnt dafür beten, dass wir eine gute Struktur für die Kinder für diese Zwischenzeit schaffen können. Denn diese Struktur ist es, die hier besonders fehlt.
Wir planen morgendliches Joggen, Ausflüge ans Wasser, psychologische Arbeit mit den älteren Kindern, tägliche Andachten und Musik, Kinoabende und einiges mehr.
Bitte betet auch für mich, dass Gott mir die Motivation und das demütige Herz schenkt, mich immer wieder neu den Menschen hier und besonders den Kindern in Liebe hinzugeben. Ich möchte, wie in 1. Chronik 22,19 geschrieben steht,
mein Herz und meine Sinne darauf richten, den Herrn, meinen Gott, zu suchen.
Lies dazu meinen Beitrag "Wie ich meine Motive überdachte und dabei Freiheit fand."
Wenn Du diesen Einsatz oder meinen Blog gerne unterstützen möchtest, kannst du hier klicken.
Hey Julia,
danke für deine Offenheit und Ehrlichkeit.
Wir wünschen dir weiterhin viel Freude und vor allem Liebe für die nächste Zeit!
In Liebe,
Oli
Hallo Oli,
vielen, vielen Dank für dein liebes Kommentar.
Freude und Liebe habe ich die meiste Zeit. Das fällt auch nicht sonderlich schwer, wenn man den Menschen hier in die Augen schaut.
Liebste Grüße vom anderen Ende der Erde,
Julia